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Entstanden ist das Oratorium,
ungeachtet der hohen Opuszahl, in den ersten Wochen des Jahres
1803. Den Kompositionsauftrag erhielt Beethoven vom Theater an der
Wien für eine Aufführung während der Fastenzeit, in der keine Opern
gespielt werden durften. So wurde "Christus am Ölberge" denn auch
am Palmsonntag, 5. April 1803 erstmals aufgeführt, zusammen mit dem
3. Klavierkonzert und der Zweiten Sinfonie. Über die kurze
Entstehungszeit des Werkes sollte sich Beethoven erst viel später,
nämlich 1824 in einem Brief an die Gesellschaft der Musikfreunde in
Wien, äussern:
"Christus am Ölberge ward von mir und dem Dichter in der Zeit von
14 Tagen geschrieben. Allein der Dichter war musikalisch und hatte
schon mehreres für Musik geschrieben; ich konnte mich jeden
Augenblick mit ihm besprechen (...). Was mich aber angeht, so will
ich lieber selbst Homer, Klopstock, Schiller in Musik setzen;
wenigstens, wenn man auch Schwierigkeiten zu besiegen hat, so
verdienen dies diese unsterblichen Dichter."
Damit kam Beethoven selber auf das schwache Libretto von Franz
Xaver Huber, eine Mischung zwischen Oratorium und Oper, zu
sprechen. Obwohl der Text genau dem Geschmack von Beethovens
Publikum entsprach, sollte ihm später die Nähe zur Oper zum
Verhängnis werden. Änderungen im Text vorzunehmen, wie ihm dies
sein Verleger angeregt hatte, wurden von Beethoven jedoch
ausgeschlagen.
Die Einstudierungsarbeit für die Uraufführung war unzureichend. So
berichtete Beethovens Schüler, der Komponist Ferdinand Ries, der
bei der Generalprobe zugegen war: "Es war eine schreckliche Probe
und um halb drei Uhr alles erschöpft und mehr oder weniger
unzufrieden (...)". Nach der Premiere sprach man in der
"Allgemeinen Musikalischen Zeitung" jedoch sogleich von einem
spektakulären Erfolg. Es sollte einer der ersten öffentlichen
Erfolge sein, die Beethoven beschieden waren, und er brachte ihm
den Auftrag ein, die Oper "Leonore" zu komponieren.
In der Tat nehmen viele Teile in "Christus am Ölberge" Wesenszüge
der zwei Jahre später komponierten Oper "Fidelio" vorweg. Obwohl
das Werk in der üblichen Weise in verschiedene Nummern aufgeteilt
ist, sind es eigentlich vier grosse Szenen für Soli, Chor und
Orchester, welche im Aufbau mehr den Gesetzen einer
Opernkomposition als einem konventionellen Oratorium folgen. Aber
auch die einzelnen Figuren des Oratoriums lassen ständig an
"Fidelio" denken: Die gross angelegte, mit vielen Schwierigkeiten
versehene Partie des "Jesus" ist in ihrer verzweifelten Seelenlage
eine direkte Vorwegnahme des "Florestan", und der in der Handlung
treu ergebene "Petrus" erinnert eigenartig stark an den Despoten
"Don Pizarro" in "Fidelio". Auch den Chor behandelt Beethoven
szenisch. Dass die Krieger von Männerstimmen gesungen werden,
bedarf keiner Erklärung. Schwieriger wird es beim Chor der Jünger,
bei dem Beethoven keine Angaben über die Besetzung gegeben hat. In
der Aufführung werden die Jünger von den Frauen des "Cantus Basel"
gesungen. Musikalisch ist diese Wahl sehr einleuchtend, denn an
Dramatik ist die letzte Szene zwischen Jesus, den Kriegern und den
Jüngem mit dieser Stimmverteilung kaum zu überbieten, ähnlich wie
die grosse Szene zwischen "Leonore", "Don Pizarro" und "Florestan"
in Beethovens "Fidelio". Nur der Schlusschor scheint auf den ersten
Blick konventionell; aber ist er nicht schon eine Vorwegnahme des
Hymnus der befreiten Gefangenen in "Fidelio"?
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