Konzert in Basel am 2. Juni 2002
Ankündigung
in der Dreilandzeitung Nr 21 (30. Mai - 5. Juni 2002)
Cantus Basel: Missa
Solemnis
Hoffnung und Wirklichkeit
Dass eine Frist nicht eingehalten wird,
scheint ein Merkmal grosser Taten zu sein. Ist das Resultat epochal,
wertet sich die Verspätung zur Reifezeit auf, Unpünktlichkeit wird
Anekdote, wie bei Beethovens Missa Solemnis. Er begann 1818 mit dieser
Komposition zur Amtseinsetzung von Erzherzog Rudolf, seinem Schüler.
Als Auszüge aus ihr erstmals gespielt wurden, parallel zur Uraufführung
der 9. Sinfonie, waren vier Jahre vergangen - Rudolf war längst
Erzbischof von Olmütz. Dafür gilt die Messe als eines der grössten
kirchenmusikalischen Werke. Sie ist Ausdruck eines Glaubens, der nicht
mehr zeitlos gültig auftritt, sondern kritisch hinterfragt, den
Zwiespalt zwischen Hoffnung und Wirklichkeit thematisiert. Cantus
Basel, Cantus Zürich und Consortium Musicum spielen sie unter der
Leitung Walther Riethmanns. Solisten: Barbara Buhofer, Claudia Iten,
Daniel Sans, Julian Tovey. bosch
Basel, Martinskirche. Sonntag, 2. Juni, 20 Uhr
(Vorverkauf: 0041617114077 oder 0041612619025).
So ein Glück: Die diesjährige Frühstücks-WM erlaubt fussballbegeisterten Beethovenianern den abendlichen Konzertgenuss. Ein Werk für Fans wurde dann auch gegeben. Am Sonntagabend nach vier Gruppenspielen also noch des Meisters gewaltige «Missa Solemnis» in der Basler Martinskirche.
Die Messe ist Beethovens persönliches Glaubensbekenntnis. Kompromisslos ringt der Komponist mit dem Messetext und dessen Implikationen. Als musikalisches Experimentierlabor lässt sich diese Messe hören, so vielschichtig sind die musikalischen Abläufe, so ausufernd der Ideenreichtum. Diesem hohen kompositorischen Anspruch gerecht zu werden setzten sich die Chöre Cantus Basel und Zürich mit dem begleitenden Consortium Classicum unter Walter Riethmann zur Aufgabe.
Höhenangst
Vor allem Beethovens sanftere Töne brachten die
Chorsängerinnen und -sänger in angemessener Farbe zum Klingen. Durchaus
plausibel illustrierte der Chor im Gloria den barmherzigen Gott («Qui
tollis peccata mundi»), im Credo den archaisierenden Verweis auf die
Herkunft Gottes («ex patrem natum…»). Auch versöhnliche Stellen (Credo:
«Qui propter nos homines…») und die gregorianische Klanglichkeit im
«incarnatus est» waren im Chor passend nachempfunden.
Daneben verlangt diese Musik allerdings satten, verbindlichen,
zupackenden Chorklang. Manch aufstrebendes Motiv müsste da in luftiger
Forte-Höhe gipfeln. In solchen Passagen vermeinte man dann doch einige
Höhenangst bei den Sopranistinnen ausmachen zu können. Es wurde
ungenügend eingeatmet, die hohen Töne erfuhren zu wenig körperliche
Stütze; ängstlich eng war dann der Klang, obwohl der Text doch Lobpreis
Gottes vorgibt. Auch schien es zuweilen, als ob einige Sängerinnen auf
spontane Stimmeneinsätze zu wenig gut vorbereitet waren. Bei einigen
Einsätzen von Sopran und Alt pendelte sich der Ton erst allmählich auf
die richtige Höhe ein. Dadurch wurde der Phrasenbeginn verwischt, der
Hörer über die musikalische Faktur im Unklaren gelassen.
Tiefenstärke
Den konträren Eindruck hinterliess das Bassregister.
Erfrischend zu hören war das überdeutliche Artikulieren der Sprache
etwa im «et conglorificatur» gegen Schluss des Credo. Der
Besetzungsaufwand im Orchester verlangt solches; und warum sollten
Konsonanten undeutlich bleiben? Sprachliche oder intonatorische Mängel
waren auf der Solistenbank keine auszumachen. Mit ehrfürchtigem
Nachdruck gestaltete der Tenor Daniel Sans das «Et homo factus est».
Stimmliche Schattierung und gut dosiertes Rubato entsprachen exakt
dieser Stelle. Ohne falsches Pathos erklang durch Julian Toveys
unaufdringlichen Bass die düstere Opfervision des «Agnus dei», in
dessen Verlauf sich die Gesangssolistinnen einschalteten. Unter der
Regie von Marcela de Loa (Sopran) und Claudia Iten (Alt) wurde die
Musik zum leidenschaftlichen Aufruf an Gott, sich zu erbarmen.
BASEL. Mit diesem Meisterwerk geistlicher
Musik hat es sich Beethoven nicht leicht gemacht: Mit der Arbeit
an der "Missa Solemnis" begann er 1818, es dauerte jedoch
fünf Jahre, bi" er sie vollendet hatte. Als eine Schöpfung
voller Inbrunst, Innerlichkeit und Weltentrücktheit wird
sie oft neben Johann Sebastian Bachs h-moll Messe gestellt. Hier
der protestantische, dort der katholische Christ. Bach sprengte
eher die Grenzen zeitlicher Ausdehnung einer liturgischen Darstellung
in der Kirche, Beethoven erweiterte die Dimension viel mehr von
innen her. In der Martinskirche wurde sie nun wiedergegeben.
Ausführende waren der Konzertchor Cantus Basel im Verbund
mit Cantus Zürich, einem Zusammenschluss zweier traditionsreicher
Zürcher Chöre. Beide Vokalensemble werden von Walter
Riethmann geleitet. Er war es auch, der 1999 das Berufsorchester
Consortium Musicum gründete, das in der Martinskirche ebenfalls
mit dabei war. Selbstverständlich amtete Riethmann auch als
Dirigent dieser Aufführung. Seine Zeichengebung demonstrierte
eine dezidierte Ausrichtung auf Präzision, genaue Einsätze
und Einhalten der Tempi. Weniger zu erkennen war ein bestimmter
inhaltlicher Wille der Interpretation. Die Wiedergabe von Beethovens
Missa erreichte eine beachtenswerte Geschlossenheit, ohne indes
Tiefen aufzuschürfen und in besonders wärmendem Glanz
zu erstrahlen. Das Orchester musizierte verlässlich und vermochte,
wenn es allein zum Einsatz kam, gehobene Qualitätsstufen
auszuspielen, besonders bei den Bläsern. .
Bekanntlich schrieb Beethoven über dem Kyrie die berühmten
Worte "Von Herzen - möge es wieder zu Herzen gehen".
Einfach dürfte es in unserer Zeit nicht sein, eine derartige
Botschaft zu reanimieren. Phasenweise sprach der Chor das Publikum
auf diese Weise an, vor allem im zweiten Teil der Messe, die mit
der Wiedergabe des Agnus Dei am stärksten zu berühren
vermochte. Belebt und belebend auch das Credo, auch das Sanctus
gefiel. Als Violinsolist brillierte hier noch Pascal Druey.
Zahlreiche Einsatzmöglichkeiten wies der Komponist dem Solistenquartett
zu. Die ausgewählten Sängerinnen und Sänger sind
durchwegs mit kraftvollen, durchschlagskräftigen Stimmen
ausgestattet, die vokale Intensität zu demonstrieren vermochten,
in der Höhe manchmal nicht ohne Schärfe (Sopran und
Tenor). Es waren dies Marcela de Loa (Sopran, anstelle der erkrankten
Barbara Buhofer), Claudia Iten, Alt; Daniel Sans, Tenor, und Julian
Tovey, Bass. Den Orgelpart intonierte Heinz Specker.