Konzert in Basel am 9. September 2000: Schumann's "Szenen aus Goethes Faust"

Ankündigung in der Dreilandzeitung Nr. 36 (7. - 13. September 2000)
Chor Cantus Basel: Schumanns "Faust"-Szenen als Oratorium
Von Christina Mosimann

«Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen», singen die Engel in «Szenen aus Goethes Faust», die Robert Schumann ab Erlösungsoratorium vertonte und die bis heute unerklärlicherweise den Weg in die Konzertsäle nicht gefunden haben. Aber nun erklingt, ein Jahr nach dem Goethejubiläum, in Basel und Zürich eine der wichtigsten Vertonungen des Faust-Stoffs.
Gegen Ende seines Lebens, 1844, machte der an Sprache und Literatur immer interessierte Robert Schumann auf einer Russlandreise erste Pläne zu einer «Faust»-Oper. Später entschloss er sich zur eher oratorischen Form. In Anlehnung an den Bildungsroman hat man die «Faust»-Szenen auch als Bildungsoratorium bezeichnet. Die ersten beiden Teile zeigen menschliches Scheitern: Gretchens Niedergang, der mit Fausts Tod scheinbare Sieg Mephistos. Im dritten Teil erfolgt die Erlösung. Der gescheiterte Mensch wird durch göttliche Gnade gerettet. Tod und Teufel verlieren ihre Macht. Der Erlösungsgedanke ist die Essenz; Schumann wollte nicht einfach das Drama nacherzählen.
Die Hauptrollen sind besetzt mit dem als Ludwig II. im Musical Franz Hummels bekannt gewordenen Julian Tovey (Bariton, Faust), Judith Graf (Sopran, Gretchen), Stephan Imboden (Bass, Mephistopheles), Daniel Sans (Tenor, Ariel). Mit ihnen und weiteren Solisten musizieren die Chöre Cantus Basel, Cantus Zürich, Ton-Art Zürich und Basel, Vokalensemble und das Orchester Consortium Musicum, unter der Leitung von Walter Riethmann.



Basler Zeitung Nr. 211 vom 11 September 2000
Ein Bariton wie eine Vorahnung von Erlösung
«Faust»-Szenen von Robert Schumann im Stadtcasino
Von Christina Mosimann

«So hinterlässt das romantische neunzehnte Jahrhundert eine Fülle ehrgeiziger und unseliger Werke, die als ein ewiger und nie erfüllbarer Appell an die Mit- und Nachwelt in den Bibliotheken schlummern», schreibt Alfred Einstein in seinem Buch «Music in the Romantic Era». Eines der bedeutendsten dieser «schlummernden» Werke sind wohl Schumanns «Faust»-Szenen, die am Samstagabend im Musiksaal des Stadtcasinos von den Chören Cantus Basel und Cantus Zürich zum Leben erweckt wurden. - Der schon immer an Sprache und Literatur interessierte Schumann dachte zuerst an eine Vertonung des zweiten Teils von «Faust». «Fausts Verklärung» schien ihm, wie auch Goethe es sich selbst gewünscht hatte, geeignet als Fundament. Der Erlösungsgedanke, der dieser letzten Szene der Tragödie innewohnt, war die Essenz seines später dann als Oratorium konzipierten Werkes.
Diese Schlussszene - eine Art literarische Kantate -, in der Gretchens Seele Faust vergibt und ihn vor der Verdammnis errettet, hat Schumann als erste vertont. Mythische Gestalten der Vorväter und Heiligen, Engels-, Kinder- und Büsserchöre bevölkern die literarische Musikszene. Ein Höhepunkt dieses Hauptteils, der feierlichen gewichtigen «Dritten Abteilung», war der gewaltige Erlösungschor, von den etwa 100 Sängern der Chöre Cantus Basel und Cantus Zürich hervorragend, präzise und temperamentvoll gesungen unter der Leitung ihres Dirigenten Walter Riethmann. Klar, weich, tragend die jubelnde Sopranstimme von Maria C. Schmid. In edlem präzisem Zusammenklang die Stimmen dann im Quartett von Maria C. Schmid (Sopran), Claudia Iten (Mezzosopran), Stephan Imboden (Bass) und dem Basler Sänger Ron Epstein (Tenor). Weitere Glanzpunkte dieser die Schumannschen Züge von Leidenschaftlichkeit, Sehnsucht, Gefühl und Mitgefühl tragenden Szene waren die beiden wunderbaren Solopartien des «Pater Seraphicus» und des «Doctor Marianus»: Julian Tovey, Bariton! Seine wunderbare edle Stimme, mit dem Orchester ideal verschmolzen und verschlungen, verströmte verschwenderisch eine Schönheit, eine Reinheit und Beseeltheit, die den Zuhörern für Momente den Atem stocken machte, sozusagen die Menschen im Publikum ihre ureigene Erlösung ahnen liess. Diesen höchsten Augenblick festhalten zu können! «Verweile doch, du bist so schön», wünscht sich Faust in seiner schmerzvollen philosophischen Betrachtung der geheimnisvollen Tiefen der Natur in Vorahnung seines Todes. Starke Ausdruckskraft und jugendliche Stärke in Ariels (Daniel Sans) Schilderung des Sonnenaufgangs in der Zweiten Abteilung.
Das Werk mit der eher düsteren Ouvertüre wirkte als Ganzes der Entstehung der Komposition entsprechend etwas unausgewogen. Doch die vielen überragenden Momente kamen neben den schwächeren Abschnitten umso schöner zur Geltung. Das Publikum bedankte sich mit viel Applaus für die überragende Leistung der drei Chöre, der Orchestermusiker und die der Solisten.

Basellandschaftliche Zeitung vom 11. September 2000
Oratorium statt Faust-Oper
FAUST-SZENEN / Im Basler Stadt-Casino wurden Robert Schumanns Szenen aus Goethes Faust aufgeführt
Von Paul Schorno

BASEL. Mit Unterbrechungen hat Robert Schumann fast zehn Jahre lang den Versuch unternommen, Szenen aus Goethes Faust zu vertonen. Das ambitiöse Unternehmen erlebte zwar eine erfolgreiche Uraufführung, aber später dann geriet es beinah in Vergessenheit. Was eine Faust-Oper hätte werden sollen, geriet schliesslich zu einem weltlichen Oratorium. Das mag mit ein Grund sein, dass es im Konzertsaal nie heimisch wurde. Vom Inhalt und vom Geschehen her evoziert das Werk kaum Spannung, die Szenen und Bilder sind hinlänglich bekannt, denn Schumann liess den Text Goethes unangetastet.
Es ist die Musik, die uns packen und ansprechen soll. Dass das über Strecken hinweg möglich ist, konnte das Publikum am Samstag abend im grossen Musiksaal des Stadt-Casinos erproben und erfahren. Unter der Leitung von Walter Riethmann traten der Cantus Chor Basel und das Vokalensemble TonArt Zürich und Basel und das Consortium Musicum als Orchester auf.
Nicht weniger als acht Solisten waren notwendig, durchwegs Sängerinnen und Sänger von hohem künstlerischem Niveau. Besonders eindrücklich der rund und klangschön strömende Bariton von Julian Tovey als Faust und der strahlende Sopran von Judith Graf als Gretchen. Ihren Aufgaben gewachsen waren auch die andern, der Bass Stephan Imboden als Mephistopheles und der ausgezeichnete Tenor Daniel Sans als Ariel, Maria C. Schmid, Sopran, Claudia Iten, Mezzosopran, Sibylle Leutenegger, Alt, und Ron Epstein, Tenor.
Schumanns Musik als atmosphärisch klangliche Bilder - da fiel auch für die vereinigten Chöre einiges an gestalterischem Einsatz ab. Respektabel die Einheitlichkeit des Klanges, ausgenommen kleine Unsauberkeiten und Unkonzentriertheiten gegen Ende des zweiten Teils.
Klangwelten mit Emphase waren hier zu hören. Da fehlte mir zu Beginn des Abends bei der Ouvertüre noch die prägnante, vitalisierende Prägnanz des Orchesters. Auffallend die Detailbeflissenheit des Dirigenten Walter Riethmann, was dem Fluss der Ouvertüre nicht so wohl bekam, aber richtig und notwendig war für den Verlauf der Aufführung, wenn es galt die Einsätze zu geben und das Ganze zusammenzuhalten.
Was sich Riethmann gewünscht hatte, einen vollbesetzten Musiksaal, erfüllte sich leider nicht, doch darf der Besuch als recht gut taxiert werden. Es gab starken Schlussapplaus für eine Komposition, die wohl nicht so rasch wieder zu hören sein wird.